Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos
Alexander Kent
Die Seemannsbraut
Sir Richard und die Ehre der Bolithos
FUR KIM mit all meiner Liebe
Mourn, England, mourn and complain
For the brave Nelson's men
Who died upon that day
All on the main…
Antigua 1804
I Erinnerungen
English Harbour und die ganze Insel Antigua schienen sich unter der Mittagssonne wie festgeklebt zu ducken. Die Luft war feucht und druckend hei?, so da? die vielen verstreuten Ankerlieger im Dunst wie in einem beschlagenen Spiegel verschwammen.
In diesem Oktober des Jahres 1804 war man, obwohl der Monat schon einige Tage alt war, noch mitten in der Hurrikansaison, und zwar in einer der schlimmsten bisher gekannten. Mehrere Schiffe waren auf See verloren gegangen oder gestrandet, wenn das Unwetter sie in einem gefahrlichen Fahrwasser uberfallen hatte.
English Harbour war ein wichtiger — einige sagten lebenswichtiger — Stutzpunkt fur die in der Karibik und in den Inseln Uber und Unter dem Winde operierende Flotte. Hier hatte sie einen hurrikansicheren Ankerplatz und eine Werft, auf der selbst schwere Schaden repariert und die Schiffe wieder instand gesetzt werden konnten. Doch im Krieg oder Frieden, die See und das Wetter waren standige Feinde, und obgleich fast jede auslandische Flagge ebenfalls als feindlich angesehen werden mu?te, wurden die Gefahren dieser Gewasser niemals gering geachtet.
English Harbour war nur zwolf Meilen von der Hauptstadt St. John's entfernt und sein gesellschaftliches Leben daher beschrankt. Auf der gefliesten Terrasse eines der besseren Hauser, die den Hang hinter dem Hafen flankierten, stand eine Gruppe von Personen, meist Beamte und ihre Damen, und beobachtete die Ankunft eines Kriegsschiffes. Der Neuling schien eine Ewigkeit zu brauchen, um in dem flimmernden Dunst Umfang und Gestalt zu gewinnen. Doch nun lag er endlich mit dem Bug nach Land zu, obwohl die Segel schlaff an Stagen und Rahen hingen. Kriegsschiffe waren hier haufig und kaum erwahnenswert. Nach dem jahrelangen Konflikt mit Frankreich und seinen Verbundeten gehorte ihr Anblick zum taglichen Leben der Einwohner.
Dieses hier war ein Linienschiff, ein Zweidecker. Sein voller, schwarz und ocker gestrichener Rumpf bildete einen scharfen Kontrast zum milchigen Wasser und dem Himmel, der in der Hitze farblos schien. Die Sonne stand direkt uber Monk's Hill und war von einem silbernen Schleier umgeben. Drau?en auf See wurde bald wieder ein Sturm entstehen. Doch in einer Beziehung unterschied sich dieses Schiff von anderen, die hier kamen und gingen: Ein Wachboot hatte die Nachricht gebracht, da? es aus England kam. Fur jene, die sein muhsames Einlaufen beobachteten, bedeutete der blo?e Name England schon sehr viel. Wie ein Brief von zu Hause oder der Bericht eines durchreisenden Seemannes: unbestandiges Wetter, Verknappungen, die tagliche Furcht einer franzosischen Invasion, aber auch saftige Weiden und anregendes Stadtleben. Unter denen, die den Zweidecker beobachteten, gab es kaum einen, der Antigua fur einen blo?en Blick auf England nicht eingetauscht hatte.
Abseits von den anderen stand eine Frau, regungslos bis auf eine Hand, die mit angemessener Sorgfalt in der schweren Luft einen Facher bewegte. Sie war der sprunghaften Unterhaltung ihrer Umgebung langst mude. Einige Stimmen waren bereits durch den warmen Wein beflugelt, und man hatte sich noch nicht einmal zu Tisch gesetzt. Sie wandte sich ab, um ihr Unbehagen zu verbergen. Und die ganze Zeit beobachtete sie das Schiff. Aus England…
Der Zweidecker schien sich uberhaupt nicht zu ruhren, ware nicht die winzige Feder wei?en Schaumes unter seiner vergoldeten Galionsfigur gewesen. Zwei Langboote bugsierten ihn herein, eines an jeder Seite. Man konnte noch nicht sagen, ob sie mit ihm durch eine Schleppleine verbunden waren oder nicht. Auch sie bewegten sich kaum, und nur das anmutige Auf und Nieder ihrer Ruder, hell wie Flugel, deutete zielstrebige Muhe an.
Die Frau wu?te eine Menge uber Schiffe. Sie war schon viele tausend Meilen uber See gereist und hatte ein Auge fur Einzelheiten. Eine Stimme der Vergangenheit erklang in ihrem Gedachtnis, die das Schiff als des Mannes schonstes Werk bezeichnet und hinzugefugt hatte: und so anspruchsvoll wie eine Frau. Hinter ihr bemerkte jemand:»Vermutlich wieder ein offizieller Besuch. «Niemand antwortete, denn auch fur Spekulationen war es zu hei?. Schritte klapperten uber Steinstufen, und sie horte den Sprecher sagen:»La?t mich wissen, wenn es weitere Nachrichten gibt.»
Der Bedienstete eilte davon, wahrend sein Herr eine gekritzelte Botschaft aus dem Hafen offnete.»Es ist die Hyperion mit vierundsiebzig Kanonen, unter Kapitan Haven.»
Die Frau besah sich das Schiff naher, ihre Gedanken kreisten um den Namen. Wieso machte er sie stutzig?
Ein anderer murmelte:»Guter Gott, Aubrey, ich dachte, die ware eine ausgemusterte Hulk in Plymouth!»
Glaser klangen, aber die Frau bewegte sich nicht. Kapitan Haven? Der Name sagte ihr nichts.
Das Wachboot ruderte mude dem hohen Zweidecker entgegen. Die Frau liebte es, einlaufenden Schiffen zuzuschauen, das Durcheinander an Deck wahrzunehmen, die nach au?en hin konfus erscheinenden Vorbereitungen, bis der gro?e Anker ins Wasser platschte. Neue Seeleute wurden die Insel betreten, viele zum erstenmal. Ein ferner Gru? von den Hafen und Ortschaften Englands.
Der Sprecher erklarte weiter:»Ja, die Hyperion war schon au?er Dienst gestellt. Aber in diesem Krieg, der sich mit jedem Tag ausweitet, sind unsere Oberen in Whitehall so unvorbereitet wie immer. Ich nehme an, da? sogar noch die Wracks an unserer Kuste wieder in Dienst gestellt werden.»
Eine schon schwere Zunge sagte:»Ich erinnere mich jetzt: Sie griff damals allein an und erbeutete einen verdammt gro?en Dreidecker. Kein Wunder, da? das arme alte Madchen danach aufgelegt werden mu?te. He, was ist das?»
Die Frau wagte kaum zu blinzeln, als der Umfang des Zweideckers sich vergro?erte, wahrend seine Segel sich blahten und das Schiff jeden Hauch einer Brise nutzte, den es aufzuspuren vermochte.
Den Sprecher hatte es an die Balustrade getrieben.»Das ist ein besonderes Schiff, Aubrey. Immerhin fuhrt es eine Admiralsflagge.»
«Vizeadmiral«, verbesserte sein Gastgeber.»Anscheinend die Flagge von Sir Richard Bolitho, Vizeadmiral der Roten Flotte. « [1]
Die Frau stutzte eine Hand auf die Balustrade, der hei?e Stein gab ihr Halt. Doch ihr Mann mu?te es bemerkt haben.»Was hast du, kennst du ihn? Ein wahrer Held, wenn die Halfte von dem, was ich gelesen habe, zutrifft.»
Sie packte den Facher fester und druckte ihn gegen die Brust. Das war es also, was ihr bevorstand: Er kam hierher nach Antigua. Nach all der Zeit und nach allem, was er durchgemacht hatte.
Kein Wunder, da? sie sich des Schiffsnamens entsann. Er hatte oft so herzlich von seiner alten Hyperion gesprochen, einem der ersten Schiffe, die er als Kommandant gefuhrt hatte. Ihre plotzliche Erregung uberraschte sie, mehr noch ihre Fahigkeit, sie zu verbergen.»Ich traf ihn vor Jahren.»
«Noch ein Glas Wein, Gentlemen?»
Sie entspannte sich, Muskel fur Muskel. Wurde sich der Feuchtigkeit ihres Kleides bewu?t und ihres Korpers, der sich darin so beengt fuhlte. Dann verwunschte sie sich ob ihrer Dummheit. Es konnte nie wieder so sein wie damals, niemals. Sie drehte dem Schiff den Rucken zu und lachelte die anderen an. Doch selbst ihr Lacheln war eine Luge.
Richard Bolitho stand unentschlossen in der Mitte der gro?en Heckkajute, mit schiefem Kopf dem plotzlichen Stampfen blo?er Fu?e auf dem Achterdeck uber sich lauschend. Vertraute Gerausche drangen in den Raum: der gedampfte Chor der Kommandos, das prompt folgende Quietschen der Blocke beim Brassen der Rahen. Und doch bewegte sich das Schiff kaum. Nur die hohen, schimmernden Streifen goldenen Sonnenlichts, die langsam durch die Kajute wanderten, wiesen daraufhin, da? Hyperion muhsam in den ablandigen Wind drehte.
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