Admiral Bolithos Erbe: Ein Handstreich in der Biskaya
Die Pfeifen schrillten, und innerhalb von Minuten warfen sich die Manner in die Brassen, holten die Rahen herum, bis die Segel fast back standen. In wildem Aufruhr schlug und knallte die Leinwand, die von ihren Spieren gerissen worden ware, hatte der Wind zugelegt.
Der zweite Midshipman der Wache schob sein Teleskop zusammen und meldete: «Rapid hat bestatigt, Sir.»
Er brauchte nicht hinzuzufugen, was ohnehin alle Umstehenden dachten: Es war tabu fur jedes Schiff, erst recht fur eines, das unter der Flagge eines Konteradmirals segelte, einem anderen befreundeten Schiff die Prise abzujagen. Da Styx im Augenblick fast im Wind stand und muhsam gegenankreuzen mu?te, konnte die flinke Yawl moglicherweise nun beiden Verfolgern entkommen. Das mu?te abends in einem franzosischen Hafen ein ziemliches Hohngelachter geben.
«Nordnordwest, Sir!«rief der Master.»Voll und bei!»
Bolitho hatte auf den Hinweis verzichten konnen. Die Fregatte lag so stark uber, das Rigg achzte und stohnte so laut unter der extremen Belastung, da? jedem klar war, sie segelten mit optimaler Geschwindigkeit.
Doch Bolitho verschlo? sich dem und konzentrierte sich nur auf das ferne Bild der Segel in seiner Teleskoplinse. Fur eine Yawl war sie gro?, zumal sie jetzt auch den letzten Fetzen Tuch gesetzt hatte, um mit dem Wind zu entkommen. Ob nun Kurier- oder Schmugglerschiff, sie mu?te sich in Sicherheit bringen, und die Ile d'Yeu war nun einmal der nachste Hafen, den sie anlaufen konnte.
Sauerlich sagte Neale:»Wenn ich wenden lasse und auf Steuerbordbug gehe, werden wir schneller und konnen sie vielleicht noch abfangen. Bis zur Dunkelheit bleiben uns noch sechs Stunden. «Aber er konnte seine Enttauschung und Verwirrung nicht verbergen.
«Bleiben Sie auf diesem Bug, Kapitan Neale. Im Gegenteil, ich mu? Sie gleich bitten, noch mehr anzuluven. Segeln Sie sich fest.»
«Aber. «Neale fand keine Worte mehr. Einem anderen die Prise abzujagen und sie dann absichtlich entkommen zu lassen — das ging uber sein Fassungsvermogen.
Bolitho sah ihn ruhig an.»Auf dieser Yawl soll man glauben, da? wir uns festgesegelt haben.»
Neale nickte ruckartig.»Aye, Sir. Mr. Pickthorn! Drehen Sie das Schiff in den Wind! Klar bei Halsen und Schoten!«Heiser murmelte er wie zu sich selbst:»Fehlt nicht viel, und ich glaube es selber.»
Als das Ruder noch starker nach Luv gelegt wurde, baumte Styx sich auf wie ein Pferd, das mitten im Sprung von einer Kugel getroffen wurde. Unter Pickthorns Befehlen und den Fluchen und Schlagen der nervosen Decksoffiziere manovrierte die Mannschaft das Schiff in ein tiefes Wellental, wo es sich mit killenden Segeln festfuhr wie ein voll Wasser geschlagener Kutter.
Ein Toppsgast fiel von den Webeleinen, strampelte wild uber dem schaumenden Wasser, ehe er von seinen Kameraden an Bord und in Sicherheit gezerrt werden konnte. Aber keine Spiere brach, keine Segelnaht platzte, als die ungluckselige Fregatte, scheinbar au?er Kontrolle geraten, wild in den Seen rollte.
Wieder hob Bolitho sein Fernrohr und suchte die hellbraunen Segel der Yawl. Sie stand jetzt weit an Steuerbord, ihr Rumpf verschwand fast schon hinter der Kimm.
«Noch einen Augenblick, Kapitan Neale.»
Bolitho reichte Allday sein Teleskop. Falls der seinen Admiral fur meschugge hielt, lie? er sich jedenfalls nichts anmerken.
Endlich sagte Bolitho:»Bringen Sie sie wieder auf Kurs und nehmen Sie erneut die Verfolgung auf. Aber setzen Sie nicht die Bramsegel. Ich will sie zwar jagen, aber wenn Sie sie einholen, dann sollen Sie an Ihrem Prisengeld ersticken, so wahr ich hier stehe!»
Neale ging endlich ein Licht auf; voll verbluffter Bewunderung starrte er Bolitho an.
«Wir folgen dem Franzmann bis zur Insel, Sir?»
Bolitho sah zu, wie die verwirrten Seeleute systematisch wieder an die Brassen und Schoten gescheucht wurden.»Ja, bis zur Insel«, nickte er.
Wahrend Neale davoneilte, um den Befehl an seine Offiziere weiterzugeben, wandte Bolitho sich zu Allday um.»Na?«fragte er.
Allday fuhr sich mit dem Handrucken uber den Mund.»Tja, Sir, ich schatze, der Falke ist frei, so wahr mir Gott helfe!»
«An Deck! Land voraus! Land in Lee voraus!»
Wahrend die Offiziere und Steuerleute zur Querreling drangten, um ihre Teleskope auf das ferne Land auszurichten, bemuhte Bo-litho sich, seine wachsende Erregung zu beherrschen.
Besorgt bemerkte Neale:»Der Wind la?t nach, Sir.»
Bolitho blickte zu den Marssegeln auf, die sich widerstrebend mit Wind fullten und schnell wieder lose flappten. Die Jagd dauerte jetzt schon zwei Stunden, und die Fregatte hatte ihr Opfer immer in gerade Linie vor ihrem Bugspriet gehalten. Es jetzt, da schon Land in Sicht war, wegen des abflauenden Windes zu verlieren, ware eine nicht zu uberbietende Dummheit gewesen.
«Also setzen Sie schon die Bramsegel. Notfalls auch die Leesegel, wenn Sie es fur richtig halten.»
Damit wandte Bolitho sich ab, wahrend Neale seinen Ersten Offizier heranwinkte und nach achtern zum Ruderrad trat.
Bolitho nickte dem Master zu.»Was wissen Sie uber das Fahrwasser zwischen der Ile d'Yeu und dem Festland, Mr. Bundy?»
Der Master war ein kleiner, schmachtiger Mann mit einem Gesicht wie aus rissigem Leder. Aus dem alten Ben Grubb, Master auf der Benbow, hatte man viere seinesgleichen machen konnen, uberlegte Bolitho.
Aber seine Antwort kam vollig selbstsicher.»Sieht schlecht aus, Sir. Etwa zehn Meilen breit, aber schlechter Grund, und bei Niedrigwasser kaum tiefer als drei Faden.« [10] Er starrte an den killenden Segeln vorbei nach vorn, als sahe er die Insel bereits vor sich.»Nur gut als Ankerplatz fur eine Flottille leichter Fahrzeuge, schatze ich. «Nachdenklich rieb er sich das Kinn.»Auf meiner Karte ist die ganze Insel nicht langer als funf Meilen.«»Danke, Mr. Bundy.»
Bolitho wandte sich ab, um zu Neale zuruckzukehren, deshalb entgingen ihm die Erleichterung und Genugtuung in Bundys Gesicht. Der Admiral hatte ihn nicht nur um seine Meinung gefragt, er hatte es auch so getan, da? seine Steuerleute und Ruderganger es horen mu?ten.
«Ich kann sie gerade so erkennen. «Neale wartete, bis Bolitho ein Teleskop ans Auge gesetzt hatte.»Aber im Dunst verschwimmen die Konturen.»
Mit angehaltenem Atem wartete Bolitho darauf, da? das Deck wieder eine Aufwartsbewegung machte. Dann sah er ihn, den Flek-ken dunkleres Blau vor dem helleren Blau der See: die Insel, wo das spanische Schiff seine Ladung Bausteine geloscht hatte.
Die Yawl steuerte augenblicklich zwar die Nordspitze der Insel an; sobald sie diese aber gerundet hatte, konnte sie in ihrem Schutz auch dichter unter Land gehen und an der Kuste entlang nach Suden segeln — bis Nantes. Bei der herrschenden Windrichtung hatte ihr Kapitan auf diesem Kurs jeden Vorteil, sollten die Verfolger ihm in letzter Minute den Weg abzuschneiden versuchen oder von einer weiter sudlich patrouillierenden Einheit Verstarkung erhalten. Bei dieser Uberlegung konnte Bolitho ein bitteres Lacheln nicht unterdrucken: Er hatte jede Wette gehalten, da? sich zweihundert Meilen im Umkreis kein anderes britisches Kriegsschiff befand.
Er lie? sein Fernrohr sinken und beobachtete, wie die Toppsgasten auf den oberen Rahen auslegten, um die Bramsegel zu setzen und vorzuschoten, auch wenn sie sich in der leichten warmen Brise nur lustlos fullten. Noch blieben ihnen vier Stunden Tageslicht, das mu?te reichen. Wenn sie bis zum nachsten Morgen warten wollten, hatten sie ebensogut selbst die nachste franzosische Garnison alarmieren konnen.
Bestimmt folgten viele Blicke der eiligen Yawl und der drohenden Segelpyramide, die sie jagte. Ein reitender Boote mu?te schon zum Kommandeur der Garnison unterwegs sein. Eine Festlandbatterie wurde sich bereit machen, dem toll gewordenen englischen Kommandanten, der fur eine magere Beute so viel riskierte, ein paar Schusse vor den Bug zu setzen.