Admiral Bolithos Erbe: Ein Handstreich in der Biskaya
Das Deck unter Herricks Fu?en bewegte sich leicht, und er trat an die offenen Heckfenster. Mittlerweile lagen hier schon weniger Schiffe in Reparatur, das Getose der Hammer und das Quietschen der Flaschenzuge hatte nachgelassen.
Dort druben schwojte Keens mit 74 Kanonen bestuckte Nicator an ihrer Ankertrosse, hatte Sonnen- und Windsegel ausgebracht, um den Aufenthalt an und unter Deck bei dieser druckenden Hitze so angenehm wie moglich zu machen. Und daneben Indomitable, ihr anderer Zweidecker, unter dem neuen Kommandanten Kapitan Henry Veriker, der innerhalb des kleinen Geschwaders schon eine gewisse Beruhmtheit errungen hatte: Seit der Schlacht bei Abukir war er fast taub, eine Verletzung, die nach stundenlangem, ununterbrochenem Kanonenfeuer oft auftrat. Aber Verikers Taubheit kam und ging, war manchmal schwacher, manchmal starker, so da? sich nie genau sagen lie?, was er nun gehort hatte oder was er mi?verstand. Fur seine Offiziere mu?te es die Holle sein, uberlegte Herrick. Schon die kleine Kostprobe an dem Abend, als sie zusammen gespeist hatten, hatte ihm gereicht. Er beugte sich hinaus, um die neue Fregatte zu mustern, die er damals kurz nach ihrem Stapellauf gesehen hatte, als er auf sein eigenes Schiff zuruckgekehrt war. Jetzt lag sie schon tiefer im Wasser, hinter jeder offenen Stuckpforte lauerte eine schwarze Mundung, und alle drei Masten standen, waren verstagt und getakelt. Lange brauchte diese Schonheit nun nicht mehr zu warten. Herrick fragte sich, wer wohl ihr glucklicher Kommandant sein wurde.
Der Anblick der neuen Fregatte erinnerte ihn an Adam Pascoe. Der junge Teufel hatte die Kommandierung auf Phalarope akzeptiert, ohne einen Gedanken an mogliche Konsequenzen zu verschwenden. Bolitho hatte aus ihr wieder ein kampftuchtiges Schiff gemacht, hatte der Mannschaft Zuversicht eingeflo?t. Herrick erinnerte sich nur zu gut daran, wie die Stimmung gewesen war, als er, der jungste ihrer Offiziere, zum erstenmal an Bord kam: verbittert und verzweifelt, kurz vor der Meuterei gegen einen Kommandanten, der jede menschliche Regung als Todsunde verabscheute.
Herrick horte die gedampfte Meldung der Turwache drau?en und wandte sich um. Der Ankommling war sein Erster Offizier, der den rothaarigen Kopf tief unter die niedrigen Decksbalken beugen mu?te.
«Was gibt's, Mr. Wolfe?»
Wolfes tiefliegende Augen erfa?ten den schriftlichen Bericht auf dem Schreibtisch, dann kehrten sie zum Kommandanten zuruck. Er hatte harter als die meisten anderen an der Wiederherstellung des Schiffes gearbeitet und zwischendurch trotzdem Zeit gefunden, seine jungen und weitgehend ahnungslosen Offiziere zu schulen.
«Meldung vom Offizier der Wache, Sir: Sie konnen den Hafen-admiral in etwa einer halben Stunde an Bord erwarten. «Wolfe grinste mit seinem unregelma?igen Gebi?.»Ich habe schon alles veranla?t, Sir. Am Fallreep werden Empfangskomitee und Ehrenwache bereitstehen.»
Herrick bedachte die Neuigkeit. Der Hafenadmiral war ein seltener Gast an Bord, aber kein unebener Kerl; ein behabiger, gemutlicher Mann, der mittlerweile mit Dockarbeitern und Handlern besser umzugehen verstand als mit einer Flotte auf hoher See.
«Sehr gut«, sagte Herrick deshalb zu Wolfe.»Ich glaube, wir haben nichts zu befurchten. Wir sind sogar fruher mit den Reparaturen fertig geworden als Kapitan Keens Nicator, wie?»
«Ob er uns neue Befehle bringt, Sir?»
Der Gedanke bereitete Herrick Unbehagen. Er hatte noch nicht einmal Zeit gefunden, sich einen Flaggkapitan auszusuchen; aber brauchen wurde er einen, ganz gleich, wie kurzfristig sein Kommodorewimpel auf Benbow auch wehen mochte. Vielleicht scheute er die Endgultigkeit des Schritts, uberlegte er, denn damit wurde er das letzte Bindeglied zu seinem Freund und Konteradmiral durchtrennen, obwohl er immer noch nicht wu?te, was in der Biskaya geschehen war.
Drau?en waren eilige Schritte zu horen, und nach der Ankundigung des wachestehenden Seesoldaten trat der Funfte Offizier schneidig durch die Tur, seinen Hut unter den Arm geklemmt.
Wolfe funkelte ihn so gereizt an, da? der junge Mann zuruckfuhr. In Wirklichkeit war der Erste mit dem jungen Offizier ganz zufrieden, aber es war noch viel zu fruh, ihn das merken zu lassen. Erst abwarten, bis wir auf See sind, pflegte er zu sagen.
«Ein — ein Brief, Sir«, meldete der Funfte.»Kam mit der Kutsche aus Falmouth.»
Herrick ri? ihm den Brief fast aus der Hand.»Danke. Machen Sie weiter, Mr. Nash.»
Wahrend der Leutnant schleunigst verschwand und Wolfe sich auf einen Stuhl sinken lie?, schlitzte Herrick den Umschlag auf. Er kannte die Handschrift; obwohl er den Brief erwartet hatte, furchtete er sich vor dem, was sie ihm sagen wurde.
Wolfe beobachtete ihn neugierig. Zwar wu?te er das meiste schon und konnte den Rest leicht erraten, trotzdem blieb ihm die seltsam enge Bindung des Kommandanten an Richard Bolitho unerklarlich. Fur Wolfe war ein Freund auf See am ehesten noch mit einem Schiff zu vergleichen: Man setzte sich fureinander ein, aber wenn die Wege sich trennten, verga? man den anderen am besten und kehrte nie zuruck.
Langsam lie? Herrick den Brief sinken und sah dabei die Schreiberin im Geiste vor sich, das kastanienbraune Haar in die Stirn fallend, wahrend sie uber das Papier gebeugt sa?.
Er ri? sich zusammen.»Mrs. Belinda Laidlaw kommt nach Ply-mouth«, sagte er.»Meine Frau wird sich wahrend der Dauer ihres Besuches um sie kummern.»
Irgendwie war Wolfe enttauscht.»Das ist alles, Sir?»
Herrick starrte seinen Ersten an. Eigentlich hatte er recht. Belinda sandte ihm und Dulcie die herzlichsten Gru?e, aber mehr auch nicht. Immerhin war es ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn sie erst einmal hier sein wurde in Bolithos Welt, wurde sie bestimmt offener sprechen, Herrick vielleicht sogar um seinen Rat ersuchen.
Drau?en an der Bordwand erklangen Stimmen, Wolfe schnappte sich seinen Hut und fuhr auf:»Der Admiral, Sir! Den haben wir ganz vergessen!»
Schwer atmend hasteten der stammige Kommandant und sein schlaksiger Erster Offizier, beide die Sabel fest an die Seite gepre?t, damit sie nicht daruber stolperten, hinaus aufs Achterdeck.
Admiral Sir Cornelius Hoskyn, Ritter des Bathordens, hievte sich das Fallreep hinauf und durch die Schanzkleidpforte; trotz seiner Leibesfulle ging sein Atem nicht schwerer, als er gru?end den Hut zum Achterdeck luftete und geduldig abwartete, bis die Querpfeifen mit dem Lied» Hearts of Oak«- Herzen aus Eiche — fertig waren. Herrick mochte seine warme, volltonende Stimme und rosige Gesichtsfarbe, vor allem aber seine Gewohnheit, sich fur jeden Kommandanten, der durch Plymouth kam, ausgiebig Zeit zu nehmen und ihm nach besten Kraften behilflich zu sein.
Der Admiral blickte zum knatternden Kommodorewimpel auf und sagte:»Hat mich gefreut, als ich davon erfuhr. «Dann nickte er den versammelten Offizieren zu und fuhr fort:»Ihr Schiff macht Ihnen alle Ehre. Sie sind bald seeklar, wie?»
Herrick wollte erwidern, da? die Meldung uber ihre Einsatzbereitschaft nur noch auf seine Unterschrift wartete, aber der Admi-ral war schon weitergeschritten, dem willkommenen Schatten unter dem Huttenaufbau zu.
Hinter ihm her marschierten sein Flaggleutnant, sein Sekretar und zwei Stewards, die eine Kiste mit Wein trugen.
In der gro?en Achterkajute lie? sich der Admiral bedachtsam auf einen Stuhl nieder, wahrend sein Stab sich unter der Anleitung von Herricks Steward mit Weinglasern und — kuhler zu schaffen machte.
«Ist dies Ihr Bericht?«Der Admiral zog ein Lorgnon aus seinem schweren Uniformrock und studierte das Papier.»Unterschreiben Sie ihn jetzt, wenn ich bitten darf. «Fast im selben Augenblick fugte er hinzu:»Prachtig, prachtig — ich hoffe nur, das Glas ist kalt, Mann. «Damit nahm er von einem Steward das erste Glas Wein entgegen.
Herrick nahm erst Platz, nachdem der Leutnant und der Sekretar die Kajute verlassen hatten, wobei letzterer Herricks versiegelte Bereitschaftsmeldung wie einen Talisman an die Brust gepre?t trug.