Admiral Bolithos Erbe: Ein Handstreich in der Biskaya
Zerknirscht sagte der Signalfahnrich:»Ich habe das Signalbuch berichtigt, Sir. «Er warf seinem Kommandanten einen furchtsamen Blick zu, als frage er sich, womit er diese Katastrophe heraufbeschworen habe.»Denn Phalarope sto?t zu unserem Geschwader, Sir. Unter Kapitan Emes.»
Bolithos Hand krampfte sich fester um die Finknetze, wahrend er Kilburnes Worte verarbeitete.
Der Junge mu?te sich irren. Aber weshalb? Uber ein neues Schiff mit dem Namen Phalarope war nichts an die Offentlichkeit gedrungen. Bolitho blickte Neale an. Und gerade hatte er ihn im Geiste als jungen Midshipman an Bord eben dieses Schiffes vor sich gesehen. Es war schon gespenstisch.
Verlegen ergriff Neale wieder das Wort.»Ich war selbst uberrascht, Sir. Aber ich wollte Sie in Ihrer ersten Nacht an Bord nicht beunruhigen. Fur meine Offiziere war es eine Ehre und eine Freude, Sie hier willkommen hei?en zu durfen, auch wenn wir Ihnen wenig zu bieten haben.»
Bolitho nickte.»Die Freude ist ganz meinerseits, Kapitan Nea-le. «Aber im Geiste war er immer noch bei Phalarope. Sie mu?te jetzt funfundzwanzig Jahre alt sein, wenn nicht mehr. Als er sie damals im Spithead ubernommen hatte, hatte sie erst sechs Jahre auf dem Buckel gehabt. Aber sie war ein Unglucksschiff gewesen, an Bord herrschten Grausamkeit und Verzweiflung, und die Mannschaft stand kurz vor der Meuterei, so sehr war sie von dem abgelosten Kommandanten geschunden worden.
Nichts hatte er vergessen, vor allem nicht den Anblick der franzosischen Wimpel und Bramsegel, als die gegnerische Flotte uber die Kimm gekommen war: wie Ritter, die zum Turnier sturmten. Heute nannte man es die Schlacht bei den Saintes, [9] und die Phalarope war als kaum noch schwimmfahiges Wrack aus ihr hervorgegangen.
«Geht es Ihnen gut, Sir?«Neale sah Bolitho besorgt an, hatte sein eigenes Schiff fur den Augenblick vollig vergessen.
Wie zu sich selbst sagte Bolitho:»Sie ist zu alt fur diesen Einsatz. Ich hielt sie fur verloren, untergegangen im Kampf, nicht ausrangiert als Hulk fur Straflinge oder Waren in irgendeinem elenden Hafen. «Er wu?te, die Marine brauchte dringend Fregatten — aber ausgerechnet diese?
Neale erzahlte bereitwillig:»Ich habe gehort, da? sie in Irland repariert und ausgerustet wurde, Sir. Aber fur den Dienst als Wach- oder Wohnschiff, dachte ich.»
Bolitho starrte hinaus auf die endlos ansturmenden wei?en Hunde. Phalarope — so viele Jahre lagen dazwischen, so viele andere Gesichter und Schiffe, und jetzt wurde er sie wiedersehen. Auch Herrick mu?te inzwischen das berichtigte Signalbuch gesehen haben. Fur ihn wurde es einen ahnlichen Schock bedeuten. Und fur Allday, der von einem Pre?kommando wie ein Verbrecher an Bord gezerrt worden war.
Bolitho wurde sich bewu?t, da? ihn der Signalfahnrich immer noch anstarrte, die Augen so gro? wie Wagenrader. Er ergriff seinen Arm.»Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Mr. Kilburne. Fur mich war es nur eine Uberraschung, das ist alles. Die Phalarope ist ein gutes Schiff. Dafur haben wir damals gesorgt.»
Neale mischte sich ein.»Mit Verlaub, Sir: Sie haben dafur gesorgt.»
Bolitho stieg die Leiter vom Achterdeck hinab und ging nach achtern, auf den Wachtposten vor seiner Kajute zu.
Da sah er auf einem Zwolfpfunder eine Gestalt hocken, nur undeutlich, denn hier im Zwischendeck war es dammrig, und so fruh wurden die Lampen noch nicht angezundet. Aber selbst in pechschwarzer Nacht hatte Bolitho die Gestalt als Allday erkannt, vierschrotig, unerschutterlich und immer zugegen, wenn er gebraucht wurde; mutig bis zum au?ersten und — wenn Mut nichts mehr nutzte — frech und unverfroren.
Allday wollte Haltung annehmen, aber Bolitho winkte ab.»Ruhren. Du hast es also auch schon gehort?»
«Aye, Sir. «Allday nickte schwermutig.»Das hatte nicht passieren durfen. Es ist unfair.»
«Sei kein altes Weib, Allday. Du fahrst jetzt lange genug zur See, um es besser zu wissen. Die Schiffe kommen und gehen; eines, auf dem du letztes Jahr gedient hast, kann morgen langsseits liegen. Und eines, das du in einem Dutzend verschiedener Hafen oder Schlachten gesehen hast, ohne jemals einen Fu? an Bord zu setzen, kann leicht dein nachstes werden.»
Doch Allday blieb stur.»Das ist es nicht, Sir. Mit Phalarope war's anders. Die Lords hatten kein Recht, sie wieder in die Biskaya zu schicken, dafur ist sie zu alt. Von den Saintes hat sie sich bestimmt nie wieder erholt. Warum soll es ihr anders gegangen sein als uns?»
Bolitho wurde es auf einmal unbehaglich.»Jedenfalls kann ich nichts dagegen tun«, sagte er.»Sie ist meinem Kommando unterstellt, genau wie die anderen Schiffe des Geschwaders.»
Allday erhob sich von der Kanone und stand da, den Kopf unter die Decksbalken gebeugt.»Aber sie ist nicht wie die anderen!»
Bolitho verbi? sich eine scharfe Erwiderung. Warum Allday dafur bu?en lassen? Ihn traf keine Schuld, ebensowenig wie den Midshipman, der ihm auf dem Achterdeck unabsichtlich die schlimme Neuigkeit beigebracht hatte.
Deshalb sagte er nur ruhig:»Nein, Allday, wie die anderen ist sie nicht. Das behaupte ich auch nicht. Aber es geht nur uns beide an. Du wei?t, wie schnell Seeleute mit Schauermarchen bei der Hand sind, deshalb also nimm dich zusammen. Wir brauchen in den nachsten Wochen unseren klaren Verstand, keine Latrinengeruchte. Also Schlu? damit, was gewesen ist, ist gewesen. Und kein
Blick zuruck! Erinnerungen konnen wir uns nicht leisten.»
Allday seufzte tief.»Wahrscheinlich haben Sie recht, Sir. «Er schuttelte es ab oder versuchte es jedenfalls.»Und jetzt mu? ich Sie fur die Offiziersmesse ankleiden, Sir. An diesen Abend sollen alle denken. «Aber irgendwie sagte er es ohne seinen gewohnten Humor. Bolitho ging voran zu seiner Kajute.»Also fangen wir gleich damit an, einverstanden?»
Allday folgte ihm gedankenversunken. Vor neunzehn Jahren war es gewesen, Bolitho zahlte damals nicht mehr Jahre als sein Neffe Adam Pascoe jetzt. Wie viele Gefahren und Scharmutzel sie in der Zwischenzeit auch erlebt hatten, Allday war seither immer an Bo-lithos Seite geblieben: der gepre?te Seemann und der junge Kommandant, der einer vom Ungluck verfolgten, von Tyrannei und Sadismus verdorbenen Mannschaft durch sein Beispiel und den gemeinsamen Erfolg Stolz und Selbstbewu?tsein zuruckgegeben hatte. Und jetzt tauchte sie wieder auf aus dem Nebel der Ve rgan-genheit, ein Geisterschiff. Brachte sie Gluck oder Ungluck?
Allday sah Bolitho an den Heckfenstern stehen und hinausblik-ken, wo der letzte Schimmer Tageslicht von der Gischt unter der Heckgillung reflektiert wurde.
Und er dort stellt sich bestimmt die gleiche Frage, dachte All-day. Wahrscheinlich macht er sich noch viel mehr Sorgen als ich.
Mit gekurzten Segeln legte sich die Fregatte auf den anderen Bug und richtete den Kluverbaum auf den neuen Kurs, der Biskaya und dem geplanten Treffen entgegen.