Klar Schiff zum Gefecht: Richard Bolitho - Kapitan des Konigs
In ruhigerem Ton fuhr Colquhoun fort:»Wir haben Mitteilung erhalten, da? die Franzosen schon seit Monaten Schiffe ausgerustet haben. Vor einigen Wochen lief von Toulon eine ganze Eskadron aus und schlupfte durch unsere Patrouillen bei Gibraltar. «Er blickte von einem zum anderen.»Sie konnten nun hier in Richtung auf Amerika unterwegs sein — irgendwo —, das ist alles, was wir wissen. Der Teufel soll sie holen.»
In der langsamen Prozession durchlaufender Dunungswogen hatte sich die Fawn leicht gedreht. Durch die schwankenden Fenster konnte Bolitho nun die beiden Transportschiffe sehen. Riesig und ungeschlacht warteten sie mit backgebra?ten Rahen auf das nachste Signal. Jeder Transporter war bis unter die Decksplanken mit dringend notwendigen Vorraten fur die Armee in Philadelphia vollgestopft. In der Hand des Feindes waren sie eine ungeheure Beute. Diese Erkenntnis mu?te in Colquhouns Gedanken wohl Vorrang haben.
Colquhoun begann wieder zu sprechen.»Die Miranda hat zugestimmt, bei dem Geleitzug zu bleiben, bis wir auf das Kustengeschwader treffen. Aber bei diesem verdammten Wetter kann das noch einige Wochen dauern.»
Bolitho stellte sich vor, wie Colquhoun in seinen Gedanken die Distanzen wie von einer Seekarte ablas. Welch anodende Aussichten, die ganze weite Strecke, all die vielen Meilen nach Antigua zurucksegeln zu mussen, um dort wieder den Oberbefehl uber seine kleinen Seestreitkrafte ubernehmen zu konnen.
«Darf ich vorschlagen, da? ich bei den Transportern bleibe, Sir«, sagte Maulby gedehnt.»Zusammen mit der Miranda werden wir ziemlich sicher sein. «Er blickte Bolitho an.
«Sie konnten dann auf der Sparrow nach English Harbour zurucksegeln, die Neuigkeiten dem Admiral ubergeben und unsere eigenen Schiffe fur weitere Auftrage bereithalten.»
Colquhoun starrte ihn mit ausdruckslosen Augen an.
«Diese verdammte, behagliche Selbstzufriedenheit unserer Regierung! Schon seit Jahren braut sich diese verteufelte Geschichte zusammen, und wahrend die Franzosen Schiff um Schiff vom Stapel gelassen haben, hat man unsere aus Sparsamkeit verrotten lassen. Lie?en wir morgen die Kanalflotte auslaufen, so waren meiner Meinung nach kaum mehr als zwanzig Linienschiffe in der Lage, in See zu gehen!»
Er bemerkte die Uberraschung seiner Offiziere und nickte heftig.»O ja, meine Herren, wahrend Sie hier drau?en standen und dachten, da? beim Einsatzbefehl alles bereit ware, mu?te ich den Mund halten und die ganze Schweinerei mit ansehen. «Er schlug mit der Faust auf den Tisch.»Fur eine ganze Reihe von Stabsoffizieren sind politische Macht und Wohlleben wichtiger als die Instandhaltung der Flotte.»
Er setzte sich schwer nieder.»Ich mu? mich entschlie?en!»
Die Tur offnete sich einen Spalt weit, und ein Fahnrich schaute mit verangstigtem Gesicht herein.»Signal von der Miranda, Sir. Sie bittet um Anweisungen fur. «Er kam nicht weiter.
«Sagen Sie ihr, sie soll sich gefalligst um ihre eigenen Angelegenheiten kummern. «Colquhoun funkelte ihn zornig an.»Es ist meine Entscheidung!»
Bolitho schaute zu Maulby hinuber. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er ermessen, was es bedeutete, die Verantwortung eines Kommandos zu haben. Was Colquhoun auch immer entschied, es konnte sowohl richtig als auch falsch sein. Eines jedenfalls hatte Bolitho begriffen: Wenn man eine richtige Entscheidung getroffen hatte, heimsten oft andere den Erfolg ein. Hatte man aber falsch entschieden, dann mu?te man die Schuld allein tragen.
Plotzlich sagte Colquhoun:»Lassen Sie Ihren Schreiber kommen, Maulby. Ich will neue Befehle fur-«er blickte Bolitho an,»- fur die Sparrow diktieren.»
Er schien seine Gedanken laut auszusprechen.»Ich zweifle nicht an Ihren Fahigkeiten, Bolitho, aber Sie haben keine Erfahrung. Ich werde auf Kapitan Maulbys Fawn bleiben, bis ich wei?, was sich in der nachsten Zeit ereignen wird.»
Als der Schreiber hereinschlupfte, winkte ihn Colquhoun sofort zu sich an den Tisch.
«Sie, Bolitho, werden bei den Transportern bleiben. Der Kapitan der Miranda hat den Oberbefehl, und Sie werden ihm nach Kraften gehorchen. Ihre Befehle werden Ihnen gestatten, zur Flottille zuruckzukehren, sobald die Transportschiffe abgeliefert sind. «Er machte eine Pause und wiederholte matt:»Abgeliefert sind.»
Bolitho stand auf.»Jawohl, Sir.»
«Gehen Sie nun und lassen Sie mich die Order abfassen.»
Maulby nahm Bolithos Arm und begleitete ihn auf das Geschutzdeck.»Ich glaube, der kleine Admiral hat Sorgen, mein Freund. «Er seufzte.»Ich hatte gehofft, ich konnte ihn auf meinem Schiff loswerden und Ihnen zuschieben. «Dann fuhr er mit kurzem Grinsen fort:»Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt!»
Bolitho sah seine Gig in der Dunung auf und nieder gleiten. Stockdale beschattete seine Augen und wartete darauf, wieder zur Fawn herangerufen zu werden.
«Die Nachrichten sind schlecht, aber sie kommen nicht unerwartet. Die Heimlichkeiten haben nun wenigstens ein Ende.»
Maulby nickte nachdenklich.»Nicht sehr angenehm fur das Lamm, das gerade verschlungen wird.»
Bolitho starrte ihn an.»Es ist doch sicher nicht so ernst?»
«Ich bin da nicht so sicher. Was die Franzmanner heute tun, werden die verdammten Spanier morgen nachahmen. Wir werden bald die ganze Welt am Hals haben. «Er runzelte die Stirn.»In einer Hinsicht hat unser kleiner Admiral schon recht. Es scheint, da? unsre Regierung von Damonen befallen ist, die darauf aus sind, uns alle verruckt zu machen.»
Der Erste Leutnant eilte auf sie zu und uberreichte einen frisch versiegelten Umschlag.
Maulby klapste Bolitho auf die Schulter und sagte frohlich:»Denken Sie manchmal an uns. Wahrend Sie sich auf Ihrer gemutlichen Reise vergnugen, bin ich gezwungen, meinen Tisch mit ihm zu teilen.»
Er rieb seine Hande.»Aber mit einigem Gluck wird er befordert werden und fur immer verschwinden.»
Der Leutnant unterbrach ihn eindringlich.»Eine Empfehlung von Kapitan Colquhoun, Sir, Sie mochten bitte sofort zu ihm kommen.»
Maulby nickte und streckte seine Hand aus.»Bis wir uns wiedersehen, Bolitho. «Er schien ihn nicht gerne gehen zu sehen, dann fuhr er etwas linkisch fort:»Seien Sie gewarnt, mein Freund. Sie haben ein schones Kommando, aber Sie haben auch einen gro?en Anteil an Kolonisten in Ihrer Besatzung. «Er versuchte zu lacheln.»Wenn der Krieg sich zum Schlechten wendet, dann werden sicher einige versucht sein, ihre Treue umzukehren. Steckte ich in deren Haut, so wurde ich es vielleicht genauso machen.»
Bolitho begegnete seinem Blick und nickte:»Danke, ich werde mich daran erinnern.»
Maulby verbarg seine Erleichterung nicht.»Sehen Sie, ich wu?te ja, da? Sie ein rechter Kerl sind. Nicht so einer, der meinen unbeholfenen Rat fur Herablassung halt.»
«Sie haben einiges riskiert«, meinte Bolitho grinsend.»Ich hatte zu Colquhoun gehen und ihm erzahlen konnen, wie Sie ihn betiteln.»
«Ich hatte es abgeleugnet!»
«Gewi?.»
Sie lachten beide.
Als dann die Gig an der Fawn anhakte, wurden sie wieder formlich.
Schon bevor Bolitho wieder im Boot sa?, sausten Flaggen an den Leinen der Fawn hoch, und augenblicklich erschien druben auf der Fregatte das Erkennungszeichen.
Bolitho setzte sich im Heck zurecht und starrte zu seinem Schiff hinuber. Colquhoun hatte eine Entscheidung getroffen und Verantwortung ubernommen.
Bald wurde auch er nun die Last der Verantwortung zu spuren bekommen.
Leutnant Tyrell wandte sich um, als Bolithos Kopf und Schultern im Luk des Achterdecks erschienen, und wartete, bis der Kapitan seine ubliche Uberprufung der Segelstellung und des Kompasses beendet hatte.
«Sie lauft jetzt gut, Sir«, meinte er dann.
Bolitho stapfte uber das ziemlich stark gekrangte Deck und legte seine Hande auf die Reling. Er fuhlte das Schiff wie ein lebendiges Wesen unter sich beben. Die Mittagssonne stand hoch uber der Sparrow, aber er brachte es fertig, sich trotz der Hitze nicht darum zu kummern, er beachtete nur die prall stehenden Segel und den Gischt, der am Bugsprit aufspruhte und uber die Back wehte. Funf Tage waren vergangen, seitdem die Fawn wieder Kurs auf Antigua genommen hatte, und es schien, als ob das Verschwinden Colquhouns aus ihrem Verband Gluck und Wetter geandert hatte.