Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio
Der Schausteller schrie:»Das konnen Sie nicht machen!»
Little naherte sich ihm drohend.»Hor auf, Kamerad! Mehr Respekt vor einem Offizier des Konigs, oder…«Er lie? keinen Zweifel uber das» Oder».
Bolitho befeuchtete sich die Lippen.»Antreten, Leute! Korporal, ubernehmen Sie das Kommando!«Er sah, da? der Boxer die Seeleute beobachtete, und fragte:»Ihr Name? Wie hei?en Sie?»
«Stockdale, Sir. «Selbst der Name kam nur muhsam heraus, seine Stimmbander mu?ten in vielen Kampfen Schaden gelitten haben, so da? sie nur noch heisere Tone hervorbrachten.
Bolitho lachelte ihm zu.»Also Stockdale. Ich werde Sie nicht vergessen. Sie konnen uns verlassen, wann Sie wollen. «Er blinzelte Little zu.»Jedenfalls bevor wir unser Boot erreichen.»
Stockdale schaute den kleinen Schausteller an, der auf einer Bank sa? und die Kette noch immer in der Hand baumeln lie?. Dann brach es keuchend aus ihm heraus:»Nein, Sir, ich werde Sie nicht verlassen. Jetzt nicht und nie.»
Bolitho sah, wie er sich bei den anderen einreihte. Die offensichtliche Ernsthaftigkeit des Mannes ruhrte ihn.
Little sagte ruhig:»Machen Sie sich keine Sorgen, Sir. Diese Geschichte wird im Nu an Bord bekannt sein. «Er beugte sich vor, so da? Bolitho Bier und Kase riechen konnte.»Ich bin in Ihrer Division, Sir, und werde jeden Lumpen zusammenschlagen, der es wagt, Ihnen Arger zu machen!»
Ein Strahl blassen Sonnenlichts fiel auf die Kirchturmuhr, als das Rekrutierungskommando schweigend dem nachsten Dorf entgegenmarschierte; Bolitho war froh uber das, was er eben getan hatte.
Dann begann es zu regnen, und er horte Little sagen:»Nicht mehr lange, Dipper, dann geht's zuruck an Bord und zu einem kraftigen Schluck.»
Bolitho musterte Stockdales breite Schultern. Ein weiterer Freiwilliger, das machte im ganzen funf. Er neigte den Kopf unter dem Regen. Fehlten aber noch funfzehn.
Im nachsten Dorf war es eher noch schlimmer, und es gab dort nicht einmal einen Gasthof. Der Gutsbesitzer erlaubte ihnen mit offensichtlichem Widerstreben, in einer unbenutzten Scheune zu schlafen. Er behauptete, das Haus voller Gaste zu haben, und au?erdem. Das Wort sprach Bande. Die Scheune war an einem Dutzend Stellen undicht und stank wie eine Kloake. Die Seeleute, die an au?erste Sauberkeit in ihren engen Quartieren gewohnt waren, gaben ihrer Unzufriedenheit laut Ausdruck.
Bolitho konnte sie dafur nicht tadeln; als Korporal Dyer ihm meldete, da? Stockdale verschwunden sei, antwortete er:»Das uberrascht mich nicht, Korporal. Aber halten Sie ein Auge auf die ubrigen!»
Eine Weile noch dachte er uber den verschwundenen Stockdale nach und wunderte sich, da? ihm der Verlust naheging. Vielleicht hatten Stockdales schlichte Worte ihn doch tiefer beruhrt, als er selber glaubte. Er schien ihm einen Wendepunkt zu markieren, eine Art Glucksbringer zu sein.
Little rief plotzlich:»Allmachtiger Himmel! Sehen Sie sich das an!»
Stockdale trat pudelna? ins Licht ihrer Laternen und legte einen Sack vor Bolithos Fu?e. Die Manner traten heran, als die Schatze daraus im sparlichen Licht sichtbar wurden: mehrere Huhner, frisches Brot, Topfe mit Butter, eine halbe Fleischpastete und — als Hohepunkt — zwei gro?e Kruge voll Apfelwein.
Little schnaufte:»Ihr beiden rupft die Huhner! Du, Thomas, pa?t auf, da? keine ungebetenen Gaste kommen!«Er sah Stockdale an und holte die Guinee heraus.»Hier, Kamerad, die hast du sauer verdient!»
Stockdale horte kaum hin. Als er sich uber den Sack beugte, krachzte er:»Es war sein Geld. Behalten Sie's. «Zu Bolitho sagte er:»Dies ist fur Sie, Sir. «Er hielt ihm eine Flasche hin, die aussah, als enthielte sie echten Kognak. Das rundete das Bild ab: Der Gutsbesitzer hatte sicher die Finger im ortlichen Schmuggel an der Kuste.
Stockdale sah Bolitho an.»Ich sorge schon fur Sie, Sir. «Bolitho fiel auf, da? er sich unter den geschaftigen Seeleuten bewegte, als hatte er sein ganzes Leben dazugehort.
Little bemerkte ruhig:»Schatze, Sie konnen aufhoren, sich Sorgen zu machen, Sir. Der gute Stockdale ist allein so viel wert wie funfzehn Mann, jedenfalls nach meiner Schatzung. «Bolitho trank einen Schluck Kognak, wahrend Fett aus einem Huhnerschenkel auf die Manschette seines neuen Hemdes tropfte.
Er hatte eine Menge dazugelernt, nicht zuletzt uber sich selber. Sein Kopf sank nach hinten, und er fuhlte nicht mehr, wie
Stockdale ihm den Becher vorsichtig aus der Hand nahm.
II Bruch mit der Vergangenheit
Bolitho kletterte das Fallreep an der Bordwand der Destiny hoch und lupfte seinen Hut kurz zum Achterdeck [4] hin. Die dicken Wolken und der Nebel waren verschwunden, und die Hauser von Plymouth jenseits des Homoaze schienen sich im warmen Mittagslicht zu sonnen.
Er war mude und steif von dem langen Marsch, au?erdem verschmutzt vom Nachtquartier in Scheunen oder bescheidenen Gasthofen. Der Anblick seiner sechs Rekruten, die vom Wachtmeister gemustert und dann nach vorn gebracht wurden, trug wenig dazu bei, seine Stimmung zu heben. Der sechste Freiwillige war erst vor knapp einer Stunde zu ihnen gesto?en, kurz ehe sie ihr Boot erreichten: ein sauber gekleideter, keineswegs wie ein Matrose aussehender Mann von etwa drei?ig, der angab, Apothekergehilfe zu sein. Er wolle eine lange Seereise machen, um Lebenserfahrung zu sammeln und zu sich selber zu kommen, behauptete er. Seine Geschichte klang ebenso unwahrscheinlich wie die der beiden Knechte, aber Bolitho war zu mude, um sich lange Gedanken daruber zu machen.
«Ah, Sie sind also zuruck, Mr. Bolitho!»
Der Erste Offizier stand an der Querreling des Achterdecks, seine schlanke Gestalt hob sich nur als Silhouette vom blassen Winterhimmel ab. Er hielt die Arme vor der Brust verschrankt und hatte die Neuankommlinge offenbar schon die ganze Zeit, seit die Barkasse langsseit gekommen war, beobachtet. Knapp fugte er hinzu:»Kommen Sie bitte gleich nach achtern.»
Bolitho stieg zur Backbord-Laufbrucke hinauf und begab sich zum Achterdeck. Sein Gefahrte der letzten Tage, Stuckmeistersmaat Little, strebte einem Niedergang zu, wahrscheinlich, um sich mit seinen Freunden einen» kraftigen Schluck «zu genehmigen. Im Nu war er unter Deck verschwunden und damit in seiner eigenen Welt. Bolitho fuhlte sich plotzlich fast so fremd wie vor drei Tagen, als er das Deck zum erstenmal betreten hatte.
Er stand vor dem Ersten Offizier und legte gru?end die Hand an den Hut. Palliser sah ausgeruht und gepflegt aus, wogegen sich Bolitho noch mehr wie ein Landstreicher vorkam.
Bolitho meldete:»Sechs Rekruten, Sir. Der gro?e Bursche war Boxer und konnte ein wertvoller Zuwachs werden. Der als letzter an Bord kam, hat fur einen Apotheker in Plymouth gearbeitet. «Sein Bericht klang ihm selbst schwerfallig. Palliser hatte sich nicht geruhrt, und auf dem Achterdeck war es ungewohnlich still. Bolitho schlo?:»Ich habe mein Bestes getan, Sir.»
Palliser zog seine Uhr heraus.»Gut. Wahrend Sie weg waren, ist der Kommandant an Bord gekommen. Er wollte Sie sehen, sobald Sie zuruck sind.»
Bolitho starrte ihn an. Er hatte ein Donnerwetter erwartet. Sechs statt zwanzig, und darunter einer, der nie ein Seemann werden wurde!
Palliser lie? seinen Uhrdeckel zuschnappen und sah Bolitho kuhl an.»Hat der lange Landaufenthalt Ihr Gehor beeintrachtigt? Der Kommandant will Sie sehen. Das hei?t an Bord dieses Schiffes nicht >nachher< oder >gleich<, sondern in dem Augenblick, in dem der Kommandant diesen Gedanken ausgesprochen hat.»
Bolitho blickte entschuldigend auf seine schmutzigen Strumpfe und Schuhe.»Tut mir leid, Sir, aber ich dachte, Sie hatten befohlen…»
Palliser schaute schon woanders hin; er beobachtete einige Leute, die auf dem Vorschiff arbeiteten.»Ich hatte Ihnen befohlen, zwanzig Mann zu bringen. Hatte ich sechs Mann verlangt, wie viele hatten Sie dann wohl gebracht? Zwei? Uberhaupt keinen?«Uberraschenderweise lachelte er plotzlich.»Sechs, das ist schon ausgezeichnet. Nun aber ab zum Kommandanten. Es gibt Schweinepastete zu Mittag, also beeilen Sie sich, sonst ist nachher nichts ubrig. «Er wandte sich energisch um und rief:»Mr. Slade, was machen diese Faulpelze da eigentlich? Verdammt noch mal!»
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Traditionelle Ehrenbezeigung zur Ragge beim Anbordkommen