Admiral Bolithos Erbe: Ein Handstreich in der Biskaya
Der Diener hatte allen eingeschenkt, richtete sich auf und verschwand leise aus dem Raum.
Bolitho lauschte kurz auf das Gurgeln des Wassers am Ruder, auf das leise Schlagen der Hei?leinen und den ruhelosen Schritt des Wachhabenden uber ihren Kopfen. Solch ein Schiff war wie ein lebendes Wesen.»Gentlemen — auf Ihr Wohl!»
Damit lie? er sich wieder am Tisch nieder und drehte eine Seekarte herum. Seine drei Schiffe hielten im Augenblick auf die Kuste zu, genauer gesagt auf die Loire-Mundung, aber das war nicht weiter ungewohnlich. Unzahlige britische Schiffe vor ihm hatten das gleiche getan, entweder im Verband oder einzeln, um die franzosische Flotte in Atem zu halten und ihre wichtigen Ver-sorgungs- und Verbindungswege zu blockieren.
Die am Tage eingetroffene Kurierbrigg war inzwischen schon wieder unterwegs, Kurs Nord und heim nach England. Sie hatte Depeschen vom Befehlshaber des Sud-Geschwaders an Bord, Berichte und Informationen, die eines Tages fur die Lagebeurteilung durch die Admiralitat bedeutsam werden mochten.
Aber dem ublichen Marinebrauch entsprechend hatte der Kommandant der Brigg Anweisung gehabt, mit jedem ranghoheren Offizier Kontakt aufzunehmen, dessen Schiff er unterwegs begegnete. Und ein scharfaugiger Ausguckposten hatte dafur gesorgt, da? dieser Offizier Bolitho war.
Er sagte nun:»Inzwischen kennen Sie alle in groben Zugen unseren Einsatzbefehl und damit den wahren Grund fur unsere Anwesenheit in diesem Sektor.»
Er musterte die gespannten Gesichter; alle waren so jung und ernst, dachten wohl jeder an die angeblich geheimen Friedensverhandlungen, deren erfolgreicher Ausgang fur sie jede Aussicht auf baldige Beforderung zunichte machen konnte. Bolitho verstand das recht gut. Zwischen den beiden Kriegen war er selbst einer der wenigen Gluckspilze gewesen, denen man ein Schiff uberantwortet hatte, wahrend die meisten Offiziere verarmt und von niemandem gebraucht an Land versauerten.
«Vor einer Woche stie?en unsere Patrouillen im Suden auf ein spanisches Handelsschiff und wollten es aufbringen. Da es schon fast dunkel war, suchte der Spanier sein Heil in der Flucht. Aber er hatte mehrere Einschu?locher im Rumpf, au?erdem ging seine
Ladung uber, deshalb begann er zu kentern. Unsere Entermannschaft kam gerade noch rechtzeitig, um die Schiffspapiere an sich zu nehmen und zu entdecken, da? die Ladung aus Bausteinen bestand. Mit etwas Nachhilfe gestand der spanische Kapitan schlie?lich, da? seine Ladung fur diesen Sektor bestimmt war. «Bolithos Finger pochten auf eine Stelle der Seekarte.»Er liegt vierzig Seemeilen sudlich von unserem jetzigen Standort: die Ile d'Yeu.»
Wie er erwartet hatte, war ihre Erregung allmahlich der Enttauschung gewichen, deshalb beschlo? er, sie nicht langer auf die Folter zu spannen.
«Der spanische Kapitan berichtete, da? er schon mehrmals bei der Insel gewesen war und dort jedesmal eine Ladung Steine geloscht hatte. «Bolitho nahm den Stechzirkel auf und lie? ihn uber die Karte wandern.»Au?erdem informierte er uns, da? der Ankerplatz voll kleiner Fahrzeuge liege, die alle neu und frisch ausgerustet seien. Ihren Verwendungszweck konnte er uns nicht nennen — bis man ihm Zeichnungen vorlegte, welche franzosische Landungsboote zeigten, wie sie jetzt in den Kanalhafen zusammengezogen werden. «Zufrieden registrierte Bolitho das plotzlich wiedererwachte Interesse der Tischrunde.»Sie waren absolut identisch. Wahrend wir also Belle Ile und Lorient uberwachen, kann der franzosische Admiral seine Flottillen von Landungs- und Morserbooten jederzeit nach Norden in Marsch setzen, wenn er wei?, da? die Luft rein ist.»
Duncan offnete den Mund, schlo? ihn aber gleich wieder.
«Kapitan Duncan«, sagte Bolitho,»Sie haben eine Frage?»
«Die Bausteine, Sir. Ihr Zweck leuchtet mir nicht ein. Selbst fur Schiffsneubauten braucht man nicht solche Mengen Ballast, und wenn, mu?ten sie doch leicht in der naheren Umgebung der Werften zu finden sein.»
«Vielleicht nehmen sie die Steine nur vorubergehend als Ballast auf, und zwar bis zur endgultigen Indienststellung in Lorient oder Brest. Dort konnten die Steinladungen dann geloscht und zur Verstarkung der Festungswalle und Landbatterien verwendet werden. Das ware zweckma?ig und wurde sehr viel weniger Aufmerksamkeit erregen als ein Transport auf gro?eren Schiffen. Wie dem auch sei, meine Herren, wir haben die ganze Zeit das falsche Gebiet uberwacht. Aber jetzt sind wir kluger, und ich beabsichtige, aufgrund dieser Informationen zu handeln.»
Neale und Duncan grinsten einander an, als waren sie Verbundete in einer Schlacht, die bereits geschlagen und gewonnen war.
Emes dagegen wandte ein:»Aber ohne Verstarkung wird das eine harte Nu? fur uns, Sir. Ich kenne die Ile d'Yeu und das schmale Fahrwasser zwischen ihr und der Kuste. Eine Reede, die leicht verteidigt, aber schwer angegriffen werden kann. «Sein Gesicht erstarrte wieder zur Maske, weil ihn die anderen so anfunkelten, als hatte er einen unerhorten Fauxpas begangen.
«Gut gesagt. «Bolitho legte beide Hande flach auf die Seekarte.»Deshalb starten wir auch ein Ablenkungsmanover. Die Franzosen bekommen uns dort zu sehen, wo sie uns erwarten, und werden deshalb nicht mit einem Uberfall in so engen Gewassern rechnen. «Er drehte sich zu Browne um, der schon seit einigen Minuten seine Aufmerksamkeit zu erregen versuchte.»Ja?»
«Sir, wenn wir warten, bis Verstarkung eintrifft — was ja auch Sir George Beauchamps ursprunglichem Plan entsprache — , dann hatten wir doch gewi? bessere Erfolgsaussichten? Andererseits, wenn die Kurierbrigg mit neuen Befehlen zuruckkehrt, die unseren jetzigen Auftrag widerrufen, dann hatten wir verfruht gehandelt und besser nichts getan.»
«Nichts tun, Mann?«explodierte Duncan.»Was reden Sie da?»
Aber Bolitho lachelte.»Ich verstehe, was Sie damit sagen wollen, Browne.»
Wie Herrick und Allday, so versuchte auch Browne nur, ihn zu schutzen. Wenn sein Angriff mi?lang, wurde die Friedenspartei seinen Kopf fordern. Wenn er sich andererseits jetzt still verhielt, konnte niemand ihm daraus einen Vorwurf machen. Aber Beau-champs Vertrauen ware damit bitter enttauscht.
Deshalb sagte er ruhig:»Wenn es zum Friedensschlu? kommt, dann soll das unter gleichen und fairen Bedingungen geschehen, nicht unter der Drohung einer Invasion. Und wenn der Krieg spater wieder ausbricht, mussen wir schon heute sicherstellen, da? unsere Leute nicht von dem Augenblick an, da der Friedensvertrag zerrissen wird, auf verlorenem Posten kampfen. Ich wu?te also nicht, was mir anderes ubrigbliebe.»
Duncan und Neale nickten eifrig, aber Emes wischte sich nur mit ausdruckslosem Gesicht ein loses Fadchen vom Armel. In der Stille horte Bolitho Smiths Feder uber das Papier kratzen.
Er fugte hinzu:»Ich habe schon zu viele Schiffe verlorengehen sehen, zu viele Menschen sterben, als da? ich eine Chance ignorieren konnte, die fur unsere Zukunft wichtig, ja entscheidend ist. Also schlage ich vor, meine Herren, da? Sie an Bord zuruckkehren und Ihre Pflicht tun, genau wie ich hier.»
Als die drei Kommandanten die Kajute verlassen hatten, sagte Bolitho zu Browne:»Dank fur Ihre Sorge um mich, Oliver. Aber ich hatte von Anfang an keine andere Wahl. Auch ohne diese neuen Informationen hatte ich jetzt losschlagen mussen. Zumindest wei? ich nun, wo. Nur das Wie herauszufinden, dauert immer ein bi?chen langer.»
Browne lachelte geruhrt, weil Bolitho seinen Vornamen benutzt und ihm seine Uberlegungen anvertraut hatte. Doch als der Admiral fortfuhr, war sein Ton wieder distanziert, als sei er in Gedanken bereits woanders.
«Aber etwas geht mir nicht aus dem Kopf.. «Er dachte an den verbitterten und reservierten Emes, an seinen wunschlos glucklichen Neffen Adam, an die junge Frau in Falmouth.»Wenn ich wu?te, was das ist, ware mir schon sehr viel wohler.»
Falls es nicht schon zu spat ist, dachte er insgeheim.