Klar Schiff zum Gefecht: Richard Bolitho - Kapitan des Konigs
Buckles dustere Voraussagen uber die Segeleigenschaften der Sparrow bei schwachem Wind hatten sich als nur allzu wahr erwiesen. Immer wieder war das Schiff mit flappenden Segeln und nervenzerruttendem Achzen und Klappen im Rigg abgetrieben, wahrend sie bei abflauendem Wind im hohen Seegang schlingerten. Mit Fluchen und harter Arbeit war die Sparrow zwar immer wieder auf ihre Position gebracht worden, doch meist begannen noch vor Ende der Wache alle Muhen aufs neue. Seitdem die Korvette im Einsatz war, hatte die Besatzung meist Erkundungs- und Patrouillenfahrten unternommen, und nun mu?te sie sich an das Elend des Geleitschutzsegelns uber lange Strecken gewohnen. Die beiden Transportschiffe machten ihr die Arbeit nicht gerade leicht. Die Frachtkapitane schienen die Notwendigkeit, in geschlossener Formation zu segeln, nicht begreifen zu wollen. Wenn der Konvoi durch eine heftige Bo zerstreut wurde, vergingen meist viele Stunden, bis die tragen, schweren Schiffe mit Drangen und Drohen endlich wieder auf ihre Positionen getrieben waren. Die barschen Signale Colquhouns hatten lediglich erreicht, da? der Kapitan derGolden Vleece, einer der gro?en Transporter, in torichter Widerspenstigkeit alle Befehle mi?achtete. In vielen Fallen hatte er sich uberhaupt nicht um die Signale gekummert und so die Fawn gezwungen, ihren Posten an der Spitze des Geleitzuges zu verlassen und ihre Anweisungen mit lautem Brullen von Schiff zu Schiff durchzusetzen.
Bolitho kletterte aus seiner Koje und ging langsam durch die Kajute. Unter seinen blo?en Fu?en spurte er, wie sich die Sparrow leise anhob und dann wieder in ein Wellental hinunterglitt. Der Ruderganger versuchte, die Schiffsbewegungen, die vom ublichen Klappern der Blocke und dem langgezogenen Quaken des Ruders begleitet waren, zu stutzen.
Bolitho stemmte seine Hande auf das Sims der Heckfenster und starrte auf die leere See hinaus. Die beiden Transporter mu?ten — wenn sie uberhaupt noch beisammen waren — irgendwo steuerbord voraus segeln. Sein Auftrag lautete, sich in Luv der schwerbeladenen Schiffe zu halten, so da? die Sparrow zu jedem verdachtigen fremden Schiff hin abfallen konnte und die gro?tmoglichen Segelvorteile hatte, bis sich herausstellte, ob es Freund oder Feind war.
Tatsachlich hatten sie bereits dreimal ein unbekanntes Segel gesichtet, Da es weit achteraus uber der Kimm erschien, konnten sie nicht sehen, ob es jedesmal dasselbe Schiff war. Jedenfalls hatte sich Colquhoun geweigert, zur Erkundung zuruckzusegeln. Bolitho konnte seine Abneigung, die wertvollen Transportschiffe zu verlassen, gut verstehen. Denn wenn die Geleitschutzkrafte aufgesplittert waren, konnte der Wind in seiner Launenhaftigkeit den wirklichen Feind mitten unter sie bringen. Andererseits konnte er sich jedesmal, wenn der Ausguck das fremde Schiff meldete, eines unguten Gefuhls nicht erwehren. Das sonderbare Segel war wie ein Irrlicht. Sollte es ein Feind sein, so konnte er methodisch dem kleinen Konvoi folgen und auf die passende Stunde zum Angriff warten.
Die Tur offnete sich, und Fitch schlich mit zwei Kannen herein. In einer dampfte Kaffee, in der anderen schwappte Bolithos Rasierwasser. Im blassen Morgenlicht sah der Diener magerer und kranklicher aus denn je, und wie gewohnlich waren seine Augen abgewandt, wahrend er die erste, so notige Tasse Kaffee eingo?.
«Wie schaut's oben an Deck aus?»
Fitch hob kaum seine Augen.»Mr. Tilby meint, da? es wieder ein gluthei?er Tag werden wird, Sir!»
Tilby war der Bootsmann. Er war ein riesiger, unordentlicher Schrank von einem Kerl, der die lasterlichsten Reden fuhrte, die Bolitho in seiner zehnjahrigen Laufbahn auf See gehort hatte. Aber seine Wetterkenntnisse, seine Voraussagen, was die nachste Dammerung bringen wurde, hatten noch nie versagt.
Unter sengender Sonne wurden die Seeleute, die an Deck kaum Schatten und Kuhlung finden konnten, nun wieder stundenlanger Pein ausgesetzt sein, bis sich der Abend uber das Meer senkte. Uberhaupt war es ein Wunder, wie sie alle zusammen in diesem kleinen Schiffsrumpf leben konnten. Bei all den Vorraten, Ersatzspieren, Pulver und Blei, bei den zahllosen Notwendigkeiten, die ein Schiff auf hoher See brauchte, konnten manche Leute kaum einen Platz fur ihre Hangematte finden. Dazu noch mu?te die Sparrow, wenn sie unterwegs war, die vielen Kabellangen der Ankertrosse sauber unter der Back stauen. Einige hundert Faden dreizehnzolligen Hanftaus fur die Hauptanker und hundert Faden achtzolliger Trosse fur den Warpanker nahmen mehr Platz weg, als funfzig Mann selbst bei au?erster Beschrankung brauchten.
Wenn aber ein Schiff, nur auf die eigenen Hilfsmittel angewiesen, uberleben wollte, dann mu?te die Besatzung solche Unbequemlichkeiten ertragen.
Er trank seinen Kaffee. Wenn der Wind doch wenigstens ein bi?chen auffrischen und durchstehen wollte. Das wurde den Uberdru? vertreiben und die Sklavenarbeit im Rigg erleichtern helfen. Und er fande Gelegenheit, die Geschutzmannschaften zu drillen. Wahrend der ersten Tage auf See hatten sie nur wenige Geschutzubungen abhalten konnen, und doch war ihm die eigenartig gleichgultige Haltung aufgefallen, die er schon vorher bei den Kanonieren bemerkt hatte. Vielleicht hatten sie schon so lange nicht mehr im Gefecht gestanden, da? sie das Exerzieren am Geschutz nun lediglich als etwas ansahen, das man eben zu erdulden und von einem neuen Kapitan zu erwarten hatte. Sie waren leidlich schnell, wenn auch etwas steif gewesen. Sie hatten vom Ausrennen bis zum Richten und Zielen alle Befehle ausgefuhrt, aber wieder und wieder hatte Bolitho gespurt, da? es irgendwo gewaltig haperte. Wenn die Mannschaften durch die offenen Pforten auf die leere See hinausblickten, hatte er ihre Gleichgultigkeit gespurt. Ihre schlaffen Bewegungen schienen ihre Einstellung deutlich zu machen: Es gab keinen Feind zu beschie?en, was zum Teufel sollte das dann alles!
Er hatte Tyrell deswegen zur Rede gestellt, aber der Erste Leutnant hatte frohlich gesagt:»Verdammt, Sir, das hei?t doch nicht, da? sie nicht wacker kampfen konnen, wenn die Stunde gekommen ist.»
Bolithos scharfe Antwort richtete eine neue Schranke zwischen ihnen auf, und fur den Augenblick wollte er es auch dabei belassen.
Kapitan Ransome mu?te die Korvette als sein personliches Eigentum angesehen haben, als seine Yacht vielleicht. Manchmal, wenn Bolitho in der Nacht von Deck herunterkam, wo er eine enttauschende Stunde lang zugesehen hatte, wie die Leute schon wieder die Segel reffen mu?ten, dann hatte er sich Ransome mit irgendeiner Frau in der Kajute vorgestellt. Oder er mu?te an Tyrell denken, der auf dem Achterdeck auf und ab schritt und sich schier in Stucke ri?, wenn er an seine Schwester nur ein paar Fu? unter ihm dachte. Er hatte diese Sache seit Tyrells erstem Ausbruch nicht mehr zu Sprache gebracht, aber er fragte sich doch, wie die Geschichte wirklich verlaufen sein mochte und was nach Ransomes plotzlichem Tod mit dem Madchen geschehen sei.
Stockdale kam mit dem Rasierbecken herein. Er blickte Fitch an und zischelte:»Hol das Fruhstuck fur den Kaptn.»
«Wieder ein klarer Morgen, Sir«, wandte er sich dann an Bolitho. Er wartete, bis sich sein Kapitan, setzte, und hielt dann das Rasiermesser prufend gegen das Licht. Er schien mit der Schneide zufrieden zu sein.
«Was wir brauchen, ist eine richtige frische Brise. «Er zeigte seine unregelma?igen Zahne.»Die wurde ein paar von diesen jungen Grunschnabeln machtig herumhetzen.»
Bolitho entspannte sich, als das Messer prazise uber sein Kinn schabte. Stockdale sprach wenig, aber er schien immer den Nagel auf den Kopf zu treffen.
«Im nachsten Monat werden wir wieder Hurrikan-Jahreszeit haben«, antwortete Bolitho zwischen den Messerstrichen.»Ich hoffe, das wird Sie dann zufriedenstellen, Stockdale.»
«Haben wir alles schon mitgemacht«, grunzte der machtige Bootsfuhrer.»Wir werden's wieder mitmachen — und uberleben, damit wir's weitererzahlen konnen.»