Klar Schiff zum Gefecht: Richard Bolitho - Kapitan des Konigs
«Lassen Sie Mr. Graves aufs Achterdeck kommen.»
Als der Leutnant sich mit erschopftem, eingefallenem Gesicht meldete, sagte Bolitho:»Ich mochte, da? das Steuerbord-Buggeschutz den Feind standig unter Beschu? halt. Sobald wir uber Stag gegangen sind, erwarte ich von Ihnen, da? Sie das Feuer auf jenes Schiff dort konzentrieren, gleichgultig, was sich sonst ereignen sollte.»
«Alles klar zur Wende, Sir«, rief Buckle.
Bolitho nickte.»Bitte legen Sie Ruder.»
«Ruder steht in Luv, Sir!»
Tyrell brullte bereits durch sein Sprachrohr, und auf dem Vorschiff holten die Seeleute wie Teufel an den Schoten des Vorstengestagsegels. Mit killenden Segeln begann die Sparrow in den Wind zu drehen.
«Klar bei Brassen!»
Bolitho packte die Reling. Seine Augen schmerzten, als die Sonnenstrahlen wie Lanzen durch die Wanten zielten.»Durchholen! Mit aller Kraft!»
Alle Rahen achzten und knarrten gleichzeitig, wahrend sie durch den Wind geholt wurden. Dann bauschten sich die Segel wieder und krangten das Deck nach der anderen Seite. Bolitho beobachtete, wie die beiden kampfenden Schiffe sehr langsam zwischen den Fockmastwanten vorruckten, als ob sie in einem riesigen Spinnennetz gelungen waren.»Stutzen, Mr. Buckle!»
Er ging einige Schritte auf und nieder und bemerkte, da? Tyrell die Manner an den Brassen anfeuerte, die Rahen noch dichter zu holen, da? der tote Seemann vom Achterdeck verschwunden war und da? Ben Garby, der Schiffszimmermann, mit seinen Leuten durch das Achterdeck schlupfte, um den Schaden dort zu inspizieren. Bolitho sah das alles und noch mehr, doch nicht mit jenem kuhlen Abstand wie fruher.
«Kurs liegt an, Sir!»
Bolitho nickte. Seine Gedanken beschaftigten sich mit den beiden Schiffen. Mit dicht geholten Segeln hoch am Wind wurde die Sparrow drei?ig Minuten oder noch langer brauchen, um eingreifen zu konnen. Die Miranda war von den feindlichen Entermannschaften bereits uberrannt. Von Anfang an war ihre Besatzung zahlenma?ig unterlegen gewesen, und in der ersten wilden Breitseite des Gegners mu?ten viele gute Manner gefallen sein.
«Feuer!»
Als der gedampfte Schrei vorne erklang, sah Bolitho den Rauchpuff uber die Back wehen und fuhlte die schwere Erschutterung, als der Zweiunddrei?igpfunder in seinen Taljen zuruckdonnerte. Er griff nach einem Fernglas und sah das Gescho? nahe dem feindlichen Schiff mit einer hohen Wasserfontane in die See platschen.
Mit heiserer Stimme murmelte Heyward:»Ziemlich nah.»
Bolitho schaute weg. Der machtige ehemalige Westindienfahrer war mit etwa vierzig Kanonen bestuckt. Wenn er seine Artillerie je zum Einsatz bringen wurde, dann konnte er die Sparrow selbst mit einer schlecht gezielten Breitseite erledigen.
Wumm! Wieder loste sich ein Schu? aus dem Buggeschutz, und er beobachtete die Gischtfahnen, die von Woge zu Woge aufspruhten und die Gescho?bahn markierten. Abermals verschwand die Kugel neben dem feindlichen Schiff.
Sie werden uns horen und merken, da? wir kommen. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen. Was sollte er nur tun? Den Transportern signalisieren zu fliehen? Nein, sie waren hoffnungslos uberladen und viel zu langsam. Es wurde nur ihren Todeskampf verlangern.
Uber ihm killte der Besan, und Buckle verfluchte das Segel, bevor er die Ruderganger etwas abfallen lie?.
Ohne hinzuschauen, war sich Bolitho bewu?t, da? er nicht so hoch am Wind segeln durfte, wenn er der Miranda noch rechtzeitig Hilfe bringen wollte.
Jemand trat hinter ihm heran. Es war Bethune. Seine Arme hingen schlaff an den Seiten herunter, seine Hosen waren mit gro?en Blutflecken bedeckt, und die Hande des sterbenden Seemannes hatten dort, wo sie ihren letzten qualvollen Griff auf dieser Welt getan hatten, breite dunkle Blutwischer hinterlassen. Bolitho starrte ihn an.
«Mr. Bethune!«Er sah den jungen Burschen zusammenfahren.»Kommen Sie her!»
Er machte ein paar Schritte zur Reling und wieder zuruck. Es war einen Versuch wert. Alles mu?te jetzt versucht werden. Wenn sie die Miranda erst erreichten, nachdem sie dem Feind endgultig in die Hande gefallen war, dann wurden die Decks der Sparrow bald so rot sein wie die Flagge uber seinem Kopf.
Der Fahnrich wartete.»Sir?»
«Geben Sie sofort folgendes Signal.»
Er legte seine Hand auf Bethunes kraftige Schulter. Durch das Hemd konnte er seine Haut spuren. Wie Eis, trotz der Sonne!
«Signal, Sir?«Bethune starrte ihn an, als ob er falsch gehort hatte oder sein Kapitan verruckt geworden sei.
«Jawohl, an Miranda: Segel in Sicht in Nordost!»
Er packte harter zu,»Mann, bewegen Sie sich endlich!»
Bethune rannte davon. Mit schriller Stimme rief er nach seinem Gehilfen, und kaum eine Minute spater wehten die bunten Signalflaggen im Wind. Voll Unglauben starrte Tyrell von den Flaggen zu seinem Kapitan, dann begann er langsam zu verstehen.
«Auf der Miranda gibt's kaum noch ein paar arme Teufel, die das sehen konnten«, meinte Buckle.
Tyrell hatte Bolithos Absicht erkannt.»Nein, aber die Freibeuter werden's sehen. Vielleicht glauben sie, da? eine Patrouille vom Geschwader unterwegs ist, um in den Kampf einzugreifen.»
Bolitho wartete, bis Graves das Buggeschutz wieder abgefeuert hatte.»Das ist alles, was wir im Augenblick tun konnen«, entschied er dann.
Minuten schleppten sich wie Stunden hin. Doch dann, als ein launischer Windsto? uber die beiden ineinander verkeilten Schiffe hinfuhr, hielt Bolitho plotzlich den Atem an. Zwischen den dunklen Schiffsrumpfen offnete sich ein schmaler heller Spalt, dann blinkte freies Wasser auf, wo vorher nur eine einzige schwere, in Rauch gehullte Masse gelegen hatte. Die Lucke verbreiterte sich. Das Kaperschiff hatte Fock und Kluver gesetzt, um sich vom Gegner zu losen. Endlich war die Miranda frei.
Die See zwischen den beiden Schiffen war mit Treibgut und zerrissenem Segelzeug bedeckt. Da und dort warf ein Mann verzweifelt die Arme hoch, um sich in den Knaueln treibender Menschen uber Wasser zu halten.
Auf dem Geschutzdeck der Sparrow erklang ein rauhes Hurra. Seeleute rannten an das Schanzkleid, um den Feind zu beobachten, der immer mehr Segel setzte.
Tyrells Grinsen gefror, als ihn Bolitho anfuhr:»Sehen Sie zu, da? die Leute das Maul halten!»
Er bemerkte, da? er seine Faust immer noch schmerzhaft um den Degengriff gekrampft hatte.
«Schauen Sie dorthin, Mr. Tyrell, kein Grund zum Hurrabrullen heut.»
Der Leutnant wandte sich um und starrte zu den dunklen Umrissen der Miranda hinuber, zu den quirlenden Rauchwolken, zu den Seeleuten, die die Brande zu loschen versuchten oder zwischen den Trummern ihres Schiffes herumsuchten. Als sich die Sparrow naher heranschob, konnten alle die dunnen, scharlachroten Faden sehen, die aus den Speigatten rannen, und die gro?en, ausgezackten Locher in allen Teilen des Rumpfes.
«Geben Sie Befehl an Mr. Tilby, die Boote klarzumachen, rufen Sie den Arzt und schicken Sie ihn mit hinuber.»
Kaum horte Bolitho seine eigene Stimme. Sie klang wie zerbrochen, dumpf, unmenschlich.»Lassen Sie dann die Segel reffen und die Marssegel wegnehmen. Wir werden zunachst leewarts der Miranda bleiben.»
Er uberhorte das Getrampel, als Tilbys Leute an die Bootstaljen rannten. Graves kam ausgemergelt nach achtern und wischte sich im Gehen Gesicht und Brust mit einem nassen Lumpen ab. Hoch oben uber all dem Getriebe auf Deck zogen die Segel immer noch gut, obwohl sie viele Locher hatten, die vor Einbruch der Dunkelheit noch geflickt werden mu?ten. Einige Stagen und Fallen waren gebrochen, und er wu?te, da? der Rumpf ofters in der Nahe der Wasserlinie getroffen worden war. Aber die Pumpen schienen ausreichend zu arbeiten. Die Sparrow hatte alles wie ein alter Krieger hingenommen. Dalkeith eilte die Niedergangsleiter herauf. Die schwere Instrumententasche hielt er gegen die Brust gedruckt. Strome von Schwei? rannen uber sein angestrengtes Gesicht.