Klar Schiff zum Gefecht: Richard Bolitho - Kapitan des Konigs
«Wie viele, Mr. Dalkeith?«Wieder horte Bolitho seiner Stimme zu, als ob ein Fremder sprache.
Der plumpe Arzt starrte mit stumpfen Augen die Fregatte an.
«Zwei Tote, Sir, funf durch Splitter verletzt.»
Bolitho versuchte, sich an den Mann zu erinnern, der an seiner Seite gefallen war. Manners, ja, so hatte er gehei?en.
«Manners«, sagte er,»und wer war der andere?»
«Yelverton, Sir. Er wurde vorn beim Fockmast von einer Kugel getroffen. «Dalkeith blickte zu Boden.»Hat ihm den Kopf abgerissen.»
Graves war schon halbwegs die Leiter heraufgekommen, fuhr aber zuruck, als Bolitho ihn ansprach.»Yelverton, haben Sie das gehort, Mr. Graves? Der einzige Mann, der seine Sinne beisammen hatte, als alle anderen zu blind waren, um die Wahrheit zu erkennen! Der Mann, den Sie unbedingt auspeitschen lassen wollten!»
Er wandte sich ab.»Nun, in Zukunft wird er Ihnen keine Schwierigkeiten mehr machen, und wir ihm auch nicht.»
Mit halbblinden Augen sah er Stockdale am Fu? des Besanmastes warten.»Lassen Sie die Gig wegfieren. Ich werde Kapitan Selby aufsuchen und sehen, was getan werden mu?.»
«Aye, Sir!»
Im Wegeilen schaute Stockdale zu ihm zuruck. Niemals zuvor hatte er seinen Kapitan so geschlagen und bewegt gesehen. Und zum ersten Mal wu?te er nicht, wie er ihm helfen konnte.
Bolitho betrat seine Kajute, schnallte den Degen ab und warf ihn auf die Sitzbank unter dem Fenster. Fitch und ein junger Seemann bemuhten sich, die Einrichtungsstucke wieder an ihren alten Platz zu stellen. Ein anderer wischte die Ru?flecken von der niedrigen Kajutendecke. Wahrend eines Gefechtes blieben selbst die Wohnraume eines Kapitans nicht verschont. Durch hastiges Wegrei?en von Zwischenwanden war die Kajute zu einer Verlangerung des Geschutzdecks geworden. Zu beiden Seiten standen kurze, gedrungene Zwolfpfunder, die jetzt hinter Chintzvorhangen diskret verborgen wurden. Bolitho starrte die Kanonen an. Seine Augen waren trub vor Mudigkeit.»Ein Hauch von Weiblichkeit!«Dann wandte er sich heftig nach Tyrell und Graves um, die ihm nach seiner Ruckkehr von derMiranda in die Kajute gefolgt waren.
In seinen Gedanken schwirrten so viele Fragen und Vermutungen, sein Gehirn war vom Anblick und von den Gerauschen an Bord der Fregatte so zerschlagen, da? er einige Augenblicke lang uberhaupt nicht sprechen konnte.
Uber der Kajutsdecke drohnten Hammer, Sagen raspelten. Die Besatzung arbeitete immer noch, um die Schaden auszubessern. Nachdem er eine Stunde an Bord der Miranda zugebracht hatte, uberraschten ihn nun hier auf der Sparrow die Zielsicherheit und Ordnung, mit der seine eigene Besatzung sich an die Arbeit gemacht hatte. Die Szenerie, die er soeben verlassen hatte, stand in schrecklichem Gegensatz zu der Hingabe, mit der seine Leute alles, was im Gefecht zerstort worden war, wieder instand setzten.
Der Segelmacher hatte mit seinen Maaten die zerfetzten Segel von den Rahen genommen und neue angeschlagen. Mit Segelhandschuhen und blitzenden Nadeln hockten sie nun an Deck und flickten das zerschlissene Tuch. Garby, der Schiffszimmermann, hatte ihn an der Schanzkleidpforte erwartet und gemeldet, da? die Artillerie der Brigg keinen allzu gro?en Schaden angerichtet hatte. Seine Leute waren schon dabei, die zwei Einschusse unter der Wasserlinie zuzupfropfen. Andere Beschadigungen sollten noch vor Sonnenuntergang repariert werden. Garby hatte rasch und berufsma?ig sachlich gesprochen. Wie alle Manner an Bord wehrte auch er sich dagegen, an das Schicksal der Miranda zu denken, das auch sie so leicht hatte treffen konnen.
Graves brach als erster das Schweigen in der Kajute.
«Geschutze sind festgezurrt, Sir. Keine Schaden an Taljen und Pforten.»
Unter dem starren Blick Bolithos senkte er die Augen.»Besser als wir hoffen konnten, Sir.»
Langsam fragte Tyrell.»Wie sieht es aus, druben, Sir?»
Bolitho lie? sich in einen Stuhl fallen und streckte seine Beine vor sich hin. Seine Hosen waren vom Pulverqualm geschwarzt. Wie es dort aussah? Wieder tauchten vor seinen Augen die Bilder voll Tod und Grauen auf, die wenigen, unverletzten Leute, die sogar jetzt noch versuchten, das Wrack in Ordnung zu bringen. Ru?flecken und gro?e, allmahlich eintrocknende Blutlachen, zerfetzte Menschen unter herabgesturzten Spieren und zerborstenen Planken verknauelt. Es war ein Wunder, da? die Miranda sich noch uber Wasser halten konnte.
«Sie hoffen dort, morgen ein Notrigg auftakeln zu konnen«, antwortete Bolitho.»Vorausgesetzt, da? der Wind nicht zulegt und die Pumpen nicht verstopfen, werden sie etwas Fahrt machen konnen. «Er rieb seine Augen mit den Knocheln. Die Erschopfung zwangte ihn wie ein Schraubstock ein.
«Einige der Verwundeten werden sofort auf die Transportschiffe gebracht werden. Sie finden dort bessere Bedingungen zur Genesung.»
Wieder versuchte er, die Qual von seinen Gedanken abzuschutteln. Dort lagen Manner, die von Holzsplittern so entsetzlich verstummelt waren, da? sie schon langst hatten tot sein mussen. Auf dem Achterdeck waren die blutigen Verluste so hoch gewesen, da? jetzt Fahnriche, ja sogar einfache Seeleute fur die Arbeiten verantwortlich waren. Als er an Bord geklettert war, hatte er den Ersten Leutnant der Fregatte angetroffen, der die Wiederaufrichtung der Besanstenge uberwachte. Der Mann trug einen Arm in der Schlinge, und seine Stirn sah aus, als ob sie mit einem gluhenden Eisen offengelegt worden ware.
Graves atmete langsam aus.»Gegen solch schlechte Chancen haben sie sich gut gehalten.»
«Ja.»
Bolitho wollte seine Offiziere gern aus der Kajute drau?en haben, die Tur verriegeln und sich seine Unsicherheit nicht anmerken lassen.
«Ich habe eine Losung auf dem Schiff ausgegeben, Sir«, sagte Tyrell.»Ich glaube, unsere Leute wissen, wie zufrieden Sie.»
Bolithos Stimme lie? ihn zuruckfahren.»Zufrieden?«Er taumelte hoch.»Wenn Sie glauben, Grund zur Selbstzufriedenheit zu haben, Mr. Tyrell, dann behalten Sie das gefalligst fur sich.»
Er schritt zu den Fenstern und wieder zuruck.»Ich habe es selbst gesehen. In unseren Leuten steckt kein Siegesrausch. Sie sind erleichtert, nichts anderes als erleichtert. Sie sind dankbar, da? ihnen ein ahnliches Gemetzel erspart blieb, sie sind allzu eifrig bemuht, ihre eigenen Unzulanglichkeiten zu ubersehen.»
«Aber das ist doch etwas ungerecht, Sir«, wandte Tyrell ein.
«Glauben Sie?«Er sank am Tisch nieder. Sein Zorn erschopfte sich.»Raven hat den Ma?stab gesetzt. Er sah, was er zu sehen erwartete, genau wie Kapitan Selby auf der Miranda. Und genau wie Sie, Mr. Tyrell, glaubten unsre Leute, da? ein Gefecht nichts anderes als eine Fortsetzung des Drills sei, ein paar Sabelhiebe, ein paar Fluche, und alles ware schon in bester Ordnung. Vielleicht waren wir in der Vergangenheit zu siegreich und wurden nun von dieser neuen Art der Kriegfuhrung uberrumpelt.»
Wieder entstand Schweigen in der Kajute. Das beharrliche Hammern irgendwo tief im Bauch des Schiffes wurde fur Bolitho plotzlich beangstigend.
«Was werden wir jetzt tun, Sir?«fragte Graves mit belegter Stimme.
Bolitho blickte ihn ernst an.»Kapitan Selby ist tot, ist in der ersten Breitseite gefallen.»
Wieder schritt er zu den Kajutfenstern und schaute zu der treibenden Fregatte hinuber. In seinen Gedanken tauchte wieder der verwundete Erste Leutnant vor ihm auf, der Mann, der sein Schiff irgendwie langsseits des Gegners gebracht hatte. Das war das Au?erste, was er trotz der verheerenden Verluste und trotz der schweren Beschadigungen noch hatte tun konnen. Nun versuchte er, ohne andere Offiziere, unterstutzt von einigen Bootsmanns- maaten, das fast Unmogliche, die Fregatte wieder notdurftig flottzumachen. Er mu?te sein Schiff, so schnell es ging, in Sicherheit bringen, bevor es die See oder der Feind endgultig vernichteten.
Im schrecklichen Chaos der Kajute Kapitan Selbys hatte er den Safe geoffnet und ohne Zogern die Depeschen an Bolitho ubergeben. Jetzt, da er wieder in seiner Kajute auf der Sparrow war, schien ihm diese Entwicklung der Ereignisse unglaubhaft. Er war der jungste Kapitan von allen, und dann, fast im Handumdrehen, mu?te er die volle Verantwortung fur alle auf seinen Schultern tragen. Colquhoun und Maulby waren unerreichbar. Selby war tot. Er hatte seine Leiche gesehen. Auf dem zersplitterten Achterdeck war sie unter einem umgesturzten Neunpfunder eingeklemmt. Eine Hand hatte sich um den Degengriff gekrampft wie um einen nutzlosen Talisman.